Montag, 29. März 2021

schwierige Zeiten

Nachdem wir nun vier Monate lang die Füße still gehalten und uns im griechischen Lockdown eingerichtet haben, wagten wir es und packten unsere Rucksäcke. Auf in neue Gefilde! Der grobe Plan war es über Land durch die Balkanländer Richtung Deutschland… und dann mal schauen.

Irgendwie wurde es Zeit zu gehen und überhaupt war das Reisen ja auch unser Plan, unser Wunsch, unser Leben geworden. Endlich wieder los zu können weckte Vorfreude und aber auch Wehmut in uns. Griechenland war ein kleines Stück Zuhause geworden, mit seiner Landschaft und den tollen Begegnungen, die wir dort hatten. Aber das Abenteuer rief und so zogen wir los. PCR Test in Athen und ab mit dem Bus nach Bulgarien, die einzig offene Grenze. Danach nach Nordmazedonien. 

Die ausführlichen Berichte zu unserer Zeit in Bulgarien und Nordmazedonien folgen noch, denn jetzt gerade geht es nicht nur um die schöne Reisezeit mit den fabelhaften Fotos.

Die letzten Tage waren sehr intensiv und heute sind unsere Herzen besonders schwer. In Bulgarien wurden wir wieder mehr mit dem Leid der Welt konfrontiert: Viele Straßenhunde, oft überfahren am Straßenrand. Junge Frauen, die leicht bekleidet bei Minusgraden am Straßenrand stehen und darauf warten, dass jemand anhält. Auch in Skopje blieb Armut nicht aus. Auf den neu errichteten und schick-sauberen Gehwegen sitzen Kinder und Mütter bei der Kälte und betteln um ein paar Denar. 

An einem Tag liefen wir durch die Innenstadt als uns ein großer, schmutzig aussehender Mann auffiel. Mehrmals kreuzten sich unsere Wege und er schien mit uns Kontakt aufnehmen zu wollen. Da es uns oft schwer fällt aufdringliche oder bettelnde Menschen aus dem Weg zu gehen, versuchten wir ihm irgendwie im Vorfeld auszuweichen. Wir unterhielten uns auf deutsch und darüber, dass wir den Kontakt gerne meiden würden. Doch genau das war es, was ihn dazu motivierte uns anzusprechen. Er wirkte erfreut, endlich jemanden zum reden zu haben. Wir liefen weiter und versuchten irgendwie aus der Situation zu kommen. Doch er blieb hartnäckig. Er schilderte uns, dass er gerade zu Fuß von Griechenland aus gekommen sei. Er komme aus Syrien und sei nun seit 3 Monaten als Flüchtling unterwegs. Sein Ziel sei eine Organisation in Serbien, die ihm helfe seine Frau und Kinder aus Syrien zu holen. Er bitte nur um ein Gefallen: Geld für das Ticket nach Serbien. Er laufe den ganzen Tag durch die Stadt, keiner höre ihm zu, er brauche so dringend Hilfe. Ja, er sei schmutzig, aber er sei auch nur ein Mensch, für ihn gehe es ums Überleben. Er müsse so dringend versuchen nach Serbien zu kommen, wenn er seine Frau und Kinder lebend wiedersehen wolle. Und das müsse schnell gehen, weil in einer halben Stunde Ausgangssperre ist.

Und, was denkst du, wenn du diese Zeilen liest? „Hilf dem armen Mann!“ oder „Lasst euch nicht reinlegen!“?

Wir wussten nicht, was wir denken sollten. Einerseits kennt man diese Mitleidgeschichten, die dazu dienen einem Geld aus der Tasche zu locken. Andererseits: Was ist, wenn er die Wahrheit spricht? Wie schrecklich muss es sein in seiner Haut zu stecken!
Wir hörten uns seine Geschichte an. Und nach langem Hin und Her entschieden wir uns ihm etwas Geld zu geben. Als er weg war, beschäftigte uns die Begegnung noch lange. Wir waren richtig aufgewühlt, als hätte sich seine Verzweiflung auf uns übertragen. War es nun die Wahrheit oder eine Masche? Waren wir zu nett oder zu geizig? Warum können wir nicht einfach vertrauen und einem Menschen in Not helfen? Warum schauen wir lieber weg? Weil wir Angst haben, dass uns etwas genommen wird? Weil wir misstrauen. 
Wir „wissen“ nicht, ob er uns etwas vorgemacht hat. Aber seine schmutzige Kleidung, seine Verzweiflung, seine freundlich bleibende Art, seine Hektik… unser Bauchgefühl sagte uns, dass er wirklich in Not war. Und wenn nicht, dann werden wir zumindest nicht verhungern, weil wir ihm 15€ gegeben haben. 

Und dass wir einen Menschen getroffen haben, der gerade auf der Flucht ist und wortwörtlich „um sein Leben rennt“, bewegte uns tief. Es zeigte wieder, was für ein verdammtes Glück wir haben in Deutschland geboren worden zu sein. Denn ob wir in Armut und Krieg oder Wohlstand und Frieden leben, ist reine Glückssache. Dafür sollten wir viel öfter dankbar sein!

Genauso wie für Gesundheit. Gerade in diesen Zeiten ist es präsent wie noch nie. Vor ein paar Tagen haben wir erfahren, dass ein guter Freund sehr krank ist. Ganz plötzlich und ganz schwer. Das macht uns tief traurig. Man weiß nie, was kommt. Also wie soll man sein Leben leben? Wir sind so froh, dass wir unterwegs sein und uns die Welt anschauen dürfen. Anstatt im Job festzuhängen oder ein Leben zu führen was uns nicht erfüllt. Und dennoch bringt uns die Coronasituation immer wieder zum Zweifeln.

Corona und Reisen – ja, genau das sollen wir alle nicht tun. Und seit wir wieder unterwegs sind, holt uns das schlechte Gewissen wieder ein. Ist es ok, dass wir uns hier von A nach B bewegen? Immer wieder hinterfragen wir unser Reisen. Sammeln Pros und Kontras. 

In Griechenland haben wir uns fast gar nicht bewegt. Wir hatten auch viel weniger Kontakt zu Menschen als wir es zuhause in unseren sozialen Berufen hätten. Und die Menschen, die wir getroffen haben waren immer Menschen, die sich selbst ganz bewusst für Kontakt in Coronazeiten entschieden haben. Meistens waren wir draußen und Masken tragen wir seit Italien eh immer, sobald wir rausgehen.

Und jetzt? Unser Freund ist im Krankenhaus – kaum auszumalen, was wäre wenn er aufgrund dessen keinen Platz mehr bekommen hätte? Wir wissen natürlich nicht, wie die Situation wirklich aussieht. Was Angstmache ist, was Realität ist – wer weiß das schon? Aber ganz unabhängig davon wollen wir natürlich nicht dazu beitragen. Selbst krank werden macht uns weniger Angst, auch wenn die Aussicht auf ein Krankenaus in den Balkanländern nicht die rosigste ist. Oft wünschen wir uns, wie viele andere auch, dass wir geimpft sind und der Spuk vorbei ist, damit wir sorgenfrei das tun können, worauf wir uns so lange vorbereitet haben – Reisen. 

Und genauso oft fragen wir uns, was wohl ihr lieben Blogleser in Deutschland denkt, wenn wir wieder schöne Fotos schicken?! Unsere Vorstellung reicht von Freude über Neid und Anklage, wie verantwortungslos wir doch sind. Wir können uns gut vorstellen, dass viele unsere Reise kritisch sehen. Und auch wir kommen immer wieder in große Zweifel. Und nach langen Debatten kommen wir immer zu dem Entschluss, dass wir weitermachen. So kontaktlos wie möglich. Und so langsam wie möglich. Statt durch alle Balkanländer zu rauschen, beschränken wir uns auf wenige Länder und verweilen. Lieber in Unterkünften zu zweit und wie immer möglichst alleine in der Natur wandernd. Natürlich genießen wir es auch, wenn man mal Essengehen darf und alles etwas lockerer von statten geht, das würden wir in Deutschland ja auch. 

Und dann gibt es noch das Argument, was im ersten Moment fadenscheinig wirkt, aber bei näherer Betrachtung nicht zu unterschätzen ist: Wir tragen zumindest etwas zum Tourismus bei. Gerade die armen Länder leben vom Tourismus. Und wenn wir aus unserer deutschen Wohlstandsperspektive darauf gucken wäre die Entscheidung easy für „Gesundheit“ anstatt für Tourismus = Geld. Hier gibt es vielleicht keine  gute medizinische Versorgung, aber auch keinen Sozialstaat, der die Menschen auffängt. Heißt: kein Tourismus, kein Geld. Kein Geld bedeutet hier kein Essen, kein Dach über‘m Kopf, keine gesundheitliche Versorgung. Und diese Form von Armut ist einfach unvergleichbar mit unserem kuschelig deutschen System. 

Vielleicht sind auch das alles nur Rechtfertigungsversuche um unser Gewissen zu beruhigen. Aber so oder so, in Deutschland würden wir uns nicht besser aufgehoben fühlen. Und Fakt ist, dass wir uns zwar bewegen, aber bei weitem weniger Kontakte haben als in unserem bisherigen sozialen Umfeld. Und wir richten die Reise auch sehr danach aus. 
Corona lenkt unsere Reise und lässt uns viel tiefer in alles eintauchen als wir es sonst getan hätten. Schade ist es, nicht mehr so frei zu sein, aber wir bereuen nichts und sind dankbar für alle bisherigen Erfahrungen und freuen uns auf das was kommt. 



 

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